Ein paar Tage im unteren Odertal? Sollte man machen.

Unteres Odertal? Schwedt? Wo ist das, und warum sollte man dahin? Erstmal soviel: das untere Odertal und die Stadt Schwedt liegen im äußeren Nordosten der Republik, an der Oder. Dahinter kommt nicht mehr viel, gegenüber liegt Polen, im Norden Stettin und die Ostsee ist auch nicht mehr weit. Dafür gibt es um Schwedt herum sehr sehr viel Landschaft.

An der Oder

Das untere Odertal ist seit 1995 ein Nationalpark, wusste ich bis vor kurzem auch noch nicht, obwohl ich schon oft dort war. Der Oder-Neiße-Radweg kann bei nahezu jedem Wetter befahren werden, Gegenwind hat man eigentlich immer, aber dafür gibt es kurz vor Schwedt im Gasthaus Zur Linde in Criewen die beste Soljanka Brandenburgs und da der Regionalexpress in Schwedt eingesetzt wird, bekommt man immer einen Sitzplatz und einen Platz fürs Fahrrad.

Ich war jetzt mal ein paar Tage länger da und habe mich bilden lassen (Bildungsurlaub!). Dabei ging es vor allem um den Nationalpark, aber auch um die Entwicklung der Stadt Schwedt, die seit der Wende zahlreiche Arbeitsplätze und damit auch Einwohner verloren hat. Da geht es Schwedt wie vielen anderen Städten im Osten, aber zudem liegt die Stadt auch noch weit ab von allem anderen, aus Berlin erreicht man Schwedt mit dem Zug alle zwei Stunden durchgängig, sonst heißt es umsteigen. Es gibt keine bekannten Sehenswürdigkeiten und auch keine Universität oder Fachhochschule, die zum Beispiel junge Leute anziehen könnte. Der Altersdurchschnitt liegt bei 49 Jahren. Hört sich jetzt erstmal nicht so attraktiv an. Man sollte trotzdem hinfahren, weil es dann doch mehr zu entdecken gibt, als man zunächst ahnt.

Wir waren an den fünf Tagen entweder mit dem Rad oder dem Kanu unterwegs, sowohl auf der deutschen wie auch auf der polnischen Seite.

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In Zaton Dolna (PL)

Wenn man auf dem Oder-Neiße-Radweg unterwegs ist, fährt man ab Hohensaaten kaum noch an der Oder entlang, sondern bis Schwedt an der Hohensaaten-Friedrichsthaler-Wasserstraße (man sagt auch HoFriWa), die für den Schifffahrtsverkehr angelegt wurde.

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An der HoFriWa bei Zützen

Die Oder sieht man auf dem Stück eigentlich gar nicht, dafür aber Wiesen und Weiden, die Polderflächen. Im Winter steht auf diesen Wiesen das Wasser, ich hielt das bislang immer für ein Versehen. Ist es aber nicht. Jedes Jahr im November werden sogenannte Einlassbauwerke (Tore!) an der Oderseite geöffnet und die Polder laufen voll – je nachdem wie viel Wasser die Oder so bringt. Das dient offenbar nicht nur dem Hochwasserschutz sondern auch dazu, die Wiesen zu düngen, da die im Wasser befindlichen Nährstoffe in den Boden sickern. Im Frühling werden die Werke wieder geschlossen. Ist dann immer noch Wasser da, wird es über Schöpfwerke abgepumpt. Im Sommer dienen die Wiesen dann als Weiden oder Anbauflächen für Gemüse. Ganz schön praktisch und sieht auch noch gut aus. Meistens zumindest.

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Polderwiesen im Oktober

Die Hohensaaten-Friedrichsthaler-Wasserstraße ist sehr idyllisch, auch – oder gerade weil – man kaum Schiffe auf ihr sieht. Der bedeutendste Hafen an diesem Kanal ist der Schwedter Hafen. Bislang wusste ich nicht, dass Schwedt überhaupt einen Hafen hat und als wir ihn dann besichtigen, weiß ich auch warum.

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Schwedter Hafen

Es gibt ihn seit 2001, er verfügt über zwei große Hafenbecken, allerdings kaum über Schiffe. Als wir da sind, sind beide Hafenbecken leer, für morgen wird allerdings ein (!) Schiff erwartet, versichert man uns. Beschäftigt sind dort 5 Personen, man hofft darauf, dass sich Logistikunternehmen dort ansiedeln. Bis dahin ist es eine schöne Kulisse zum Fotografieren.

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Hafenbecken

Auch noch nicht voll entwickelt ist die gastronomische Szene in Schwedt. Unser Hotel verfügt über kein Restaurant, keine Bar oder ähnliches, weshalb jeden Abend ein neues Restaurant ausprobiert wird, werden muss. Ohne zu weit ausholen zu wollen: ich war in der Kartoffelmaus, beim Chinesen, in einer „Pizzeria“ (die ehemals Bierhof hieß und das auch besser geblieben wäre), im Jägerhof, dem ersten Haus am Platz und im Steakhaus Mendoza am Bahnhof. Und ich war nicht zufrieden. Die Kartoffelmaus ist ok, aber wer als Frau den Laden allein betritt wird kritisch beäugt und bekommt einen zugigen Tisch an der Tür zugewiesen – den ich dankend abgelehnt habe. Der Chinese ist dagegen unaufgeregt, Schnaps gibt es schon vor dem Essen, das eben chinesisch ist. Würde ich wiederholen. Die „Pizzeria“ ist eine üble Kaschemme, mit seltsamer Musik, seltsamen Angestellten und seltsamem Essen. Nie wieder. Der Jägerhof ist solide, Zander an Blutwurst nichts für Vegetarier, aber es gibt anständigen Salat mit Fisch. Nichts zu meckern, aber die Inneneinrichtung bleibt gewöhnungsbedürftig. Leider auch unvorhersehbare Ruhetage. Das Steakhaus ist nicht übel, allerdings sollten die Kellner weniger schreien, dann könnten sich die Gäste auch noch unterhalten. Mit größeren Gruppen scheint man dort auch schnell überfordert zu sein. Ein wahres Highlight (leider ohne Foto) ist allerdings die Kneipe „Zum Splitter“, die Wirtsleute Gabi und Manni wahre Schätze, die gerne von den Veränderungen in der Stadt berichten. Bis zur Wende hatten sie eine Autowerkstatt – auch ein Trabi braucht mal einen neuen Himmel – und nach der Wende haben sie es kurz mit einem Küchenstudio versucht. Seit 1992 bieten sie nun leckeres Bier zu einem mehr als fairen Preis an. Für Nicht-Vegetarier gibt es gerne auch noch eine Bockwurst. Immer wieder. Das nächste Mal dann auch mit Foto.

Wer dann mal mit dem Rad von Schwedt nach Polen fährt, wird wie in Hohenwutzen oder auch in Frankfurt/Oder von Buden empfangen, in denen es Zigaretten, Alkohol und Gemüse gibt. Schön oder gar einladend sieht das nicht aus.

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In Krajnik Dolny (PL)

Und wem dann erzählt wird, dass sich unmittelbar dahinter das Tal der Liebe befindet, denkt erstmal an einen Freiluftpuff und nicht an einen Landschaftspark. Angelegt wurde der Park vor ca. 150 Jahren von der Familie von Humbert, genauer von der Gattin  des Hauses, die ihren in Berlin weilenden Gatten  vermisste, der ihr aber regelmäßig Pflanzen nach Hohenkränig (heute Krajnik Gorny) schickte und die diese zur Anlage des Landschaftsgartens verwendete. Heute ist das gesamte Gelände ziemlich verwildert und wird von Freiwilligen nach und nach wieder in den ursprünglichen Zustand versetzt. Das wird aber noch einige Zeit dauern. Trotzdem ist der Garten mit dem Berg des Gedenkens und den Adam- und Eva-Statuen mitten im Wald sehr sehenswert.

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Adam im Tal der Liebe

Sehenswert war dann auch das Café von Beata in Zaton Dolna (ehemals Niedersaathen), in dem es zur Begrüßung einen äußerst leckeren Schnaps und anschließend wunderbare Kuchenplatten und heiße Suppe gab. Von dort zurück nach Schwedt sind es ca. 10km.

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Zaton Dolna (PL)

Nachdem wir die Polderwiesen mit dem Rad erkundet haben, durften wir dann auch noch mit dem Kanu über die alten Oderarme fahren, die die Aue durchziehen. Dies ist nur mit einem Natur- und Landschaftsführer möglich, in unserem Fall war es Frauke, unsere Reiseleiterin, die neben allerlei anderem auch Kanutouren im unteren Odertal anbietet. Das war einigermaßen aufregend, aber nachdem wir völlig steuerlos über die HoFriWa an das andere Ufer getrieben waren und die Boote über den Deich an die alte Oder getragen hatten, paddelten wir sehr entspannt durch die Aue. Zu sehen gibt es dort allerhand, zum Beispiel riesige Biberburgen und sehr gelassene Seeadler. Die Biber machen es offenbar wie wir und legen sich vor ihren Burgen Gärten mit den Pflanzen an, die sie besonders gerne mögen. Fischreiher, Silberreiher und Eisvögel waren auch zu sehen, nur die Fischotter waren leider zu schüchtern, um sich zu zeigen. Nach vier Stunden im Kanu waren wir dann auch in der Lage, das Boot wie junge Indianer über das Wasser zu steuern. Leider war die Tour dann auch schon wieder vorbei, aber ich werde im Sommer bestimmt noch mal wiederkommen und mir auch den nördlicheren Teil des Nationalparks bei Mescherin vom Kanu aus ansehen.

Und die Stadt? Stellt sich auf den demographischen Wandel ein. Viele Plattenbauten wurden zurückgebaut, also abgerissen. Die Berliner Scheiben stehen aber noch. Warum Berliner Scheiben? Weil diese Häuser eigentlich für Berlin geplant waren, da aber kein Platz mehr war. In Schwedt hingegen war noch Bedarf und deshalb stehen sie jetzt in Schwedt.

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Berliner Scheiben in Schwedt

Neben den recht dominanten Plattenbauten hat Schwedt aber auch noch eine kleine Altstadt, in der sich das Stadtmuseum und ein jüdisches Ritualbad befinden.

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Altstadt Schwedt

Die Menschen, die noch in Schwedt sind, werden wohl auch bleiben, aber altern. Deshalb haben sich in der Stadt mehrere Pflegedienste etabliert, zahlreiche Wohnungen wurden und werden immer noch barrierefrei umgebaut, man setzt hier auf die Senioren. Das ist ein Konzept, das ja auch in Görlitz funktioniert, wohin auch immer mehr zumeist westdeutsche Senioren ziehen. Schwedt hat neben den Pflegediensten auch ein Theater, die Uckermärkischen Bühnen, mit einem festen Ensemble. Einige Mitreisende haben sich dort den Besuch der alten Dame angesehen und waren begeistert. Vormittags wird derzeit Tschick gespielt, für die Schülerinnen und Schüler aus Schwedt und Umgebung. Es wird also doch einiges geboten. Aber trotzdem wünschen sich die Bewohner, dass wieder mehr junge Leute nach Schwedt ziehen. Und auch, dass mehr Touristen kommen. Zumindest für die Gastronomie braucht es mehr Touristen, als diejenigen, die überwiegend in der wärmeren Jahreszeit über den Oder-Neiße-Radweg kommen und auch kaum länger als eine Nacht bleiben. Wenn überhaupt. Dafür muss Schwedt und vor allem die Umgebung aber noch ein bisschen bekannter werden.

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Gemüsegarten an der HoFriWa

Deshalb darf zum Schluss auch der Werbeblock nicht fehlen: fahrt hin, bringt alle mit, guckt es euch an und erzählt es weiter! Es ist wunderschön, man muss sich nur ein bisschen dran gewöhnen.