Kohle, Dampf, Licht. Und ganz viel Sand.

Kohle, Dampf, Licht – so heißt die Radroute, die von Lutherstadt Wittenberg über Bitterfeld nach Leipzig führt. Das sind insgesamt über 120 km, die wir heute nicht fahren wollen. Uns soll die Strecke von Wittenberg nach Bitterfeld reichen. Angeblich vorbei an vielen Seen, die aus den alten Tagebaulöchern in der Gegend entstanden sind. Wir sind früh unterwegs, vielleicht ist der Zug deshalb so leer, oder wegen der Sommerferien. Auch in Wittenberg sind kaum Menschen unterwegs, aber es ist noch vor 10 Uhr. Nachdem wir die Elbe überquert haben, wird es noch einsamer und wir kommen durch Orte mit seltsamen Namen: Pratau, Klitzschena, Bergwitz. In Bergwitz, genauer am Bergwitzer See, machen wir die erste Pause.

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Eigentlich sind wir ja gerade erst losgefahren, aber es ist heiß und ich will unbedingt schwimmen gehen. Am Bergwitzsee – einem Tagebaurestloch – scheint die Zeit stehengeblieben zu sein, es gibt eine Bühne aus Beton, einen Kiosk aus Beton, die Lampen sind natürlich auch aus Beton und die Abfalleimer auch.

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Dazwischen liegen Rentner in Bademode aus grauer Vorzeit auf geblümten Liegen und beäugen die Fremdlinge – also uns – äußerst kritisch. Auf einer angrenzenden Wiese stehen Festzelte und ein Bierwagen, bei näherem Hinsehen erkennen wir, dass sich hier am Vorabend wohl das Blitzgeschwader Ost getroffen hat.

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Wir hoffen, dass das nicht so schlimm ist, wie es aussieht und tatsächlich nur etwas mit der Marke Opel zu tun hat. Zumindest stehen noch einige Opel auf dem Zeltplatz rum. Wir fahren weiter, noch ist der Radweg tadellos, vorbei an Radis. Es gibt wenig zu sehen, außer Landschaft. Bis plötzlich mitten im Niemandsland ein – ja was eigentlich? – vor uns steht. Es sieht aus wie eine Blechdose auf Stelzen, in die man ein paar Löcher geschnitten hat. Ein bisschen sieht das Ding auch so aus, als hätte Ulrich Müther mit Stahl gespielt.

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Aber da hier bis 1991 im Tagebau Golpa-Nord Braunkohle gefördert wurde, muss die „Dose“ neueren Datums sein. Von oben hat man eine gute Sicht auf den Gremminer See, einen Bergbaufolgesee, der seit 2000 dort entstanden ist.

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Später finde ich im Internet eine Seite, auf der behauptet wird, dass der Aussichtsturm im Rahmen der EXPO2000 aufgestellt wurde. Vielleicht stimmt das ja sogar. Wir machen Fotos und lassen uns von einem vorbeiradelnden Engländer fotografieren, bevor wir weiterfahren, nach Ferropolis, der „Stadt aus Eisen“. Die muss man sich so vorstellen, dass man auf einer Halbinsel im Gremminer See (bzw. dem ehemaligen Tagebau Golpa Nord) Bagger und Absetzer aus dem Braunkohlebergbau abgestellt hat, die man nun begehen kann.

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Das ist schon deshalb spektakulär, weil diese Gerätschaften unglaublich groß sind. Ansonsten ist es aber unglaublich heiß dort. Und staubig. Und der Bierwagen, der wohl von einem Festival übriggeblieben ist, hat auch geschlossen. Nach einer ausgedehnten Pause fahren wir weiter, Richtung Außenkippe (!) Golpa. Kaum zu glauben, dass vor 25 Jahren hier noch eine Mondlandschaft war.

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Obwohl sich also seitdem einiges getan hat, hat das mit den Radwegen auf diesem Stück noch nicht geklappt, denn was uns jetzt erwartet ist äußerst bitter: ein Sandweg, der an einer alten Versorgungsleitung entlang führt. Irgendwann sollen wir scharf rechts und sofort wieder scharf links abbiegen – wenn es nach Karte und GPS geht – das führt aber nur dazu, dass wir uns entschließen eine Abkürzung über ein Feld zu nehmen, um wieder auf den Sandweg zu gelangen.

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Der Sandweg führt uns nach Zschornewitz (kein Witz!), ein inzwischen wieder sehr schöner Ort mit einer Werkssiedlung, die direkt neben das Kraftwerk gebaut wurde. Davon sieht man heute aber nicht mehr viel, weshalb wir ohne Pause weiterfahren, Richtung Burgkemnitz. Endlich haben wir auch wieder Asphalt unter den Rädern, was schließlich dazu führt, dass sich die Gruppe unfreiwillig teilt. Der vordere Teil – die Ausreißertruppe – biegt nicht in Burgkemnitz ab, sondern braust geradeaus weiter nach Muldenstein, während der hintere Teil – das Hauptfeld – durch Burgkemnitz vorbei am Roten und Blauen See Richtung Muldestausee fährt. Oder schiebt. Schieben deshalb, weil hier schon lange nicht mehr von einem Radweg die Rede sein kann. Überwiegend handelt es sich um sandige Waldwege, wahlweise von Wurzeln oder Wackersteinen durchzogen. Kein wirkliches Fahrvergnügen also. Irgendwann merkt die Ausreißertruppe, dass sie das Hauptfeld abgehängt hat und wir verabreden uns in Bitterfeld. Zwischen uns und Bitterfeld liegt aber noch der Muldestausee, den wir allerdings kaum sehen. Ab und zu entdecken wir mitten im Wald Hinweise auf unseren Radweg, wir sind also richtig, immerhin. Erst als wir Pouch [sprich „Pooch“] erreichen, wird alles gut. Es gibt eine Straße mit einem Radweg und wir wagen es jetzt auch nicht mehr, diese Straße zu verlassen, sondern fahren auf schnellstem Weg nach Bitterfeld – wo die Ausreißtruppe schon längst angekommen ist und uns auf der Terrasse an der Promenade der Goitzsche erwartet.

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Die Ausreißertruppe hat ca. 60 km auf dem Tacho, bei uns waren es dann ca. 10 km mehr, ganz ordentlich trotz der Widrigkeiten. Das letzte Abenteuer des Tages besteht schließlich darin, den Schaffner im Zug davon zu überzeugen, dass sowohl Bitterfeld wie auch Lutherstadt Wittenberg noch in Brandenburg liegen. Er will das nicht wirklich glauben, hat aber offenbar auch keine Lust, uns ein Ticket für ganz Sachsen-Anhalt zu verkaufen. Wir kommen also auch dieses Mal ungeschoren davon. Vielleicht fahren wir aber das nächste Mal tatsächlich wieder nach Brandenburg.

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