Man kann auch mal mit dem Auto fahren, haben wir uns gedacht. Eigentlich haben wir Ruhe und Abgeschiedenheit gesucht. Und ich wollte auch noch einen See. Das alles haben wir zwar auch gefunden, aber auch noch eine Menge anderer Dinge und Orte entdeckt. Weil uns die Stadt zu laut ist, fahren wir Samstagmittag raus, Richtung Norden, dahin wo das Löwenberger Land, die Ruppiner Heide, die Ostprignitz und auch die Schorfheide zu finden sind. Brandenburg ist schon kurz vor den Sommerferien ausgebucht, aber ein Gasthof in Flecken Zechlin hat noch ein Doppelzimmer für eine Nacht frei. Das ist fast in Mecklenburg, und wie der Name schon sagt, eher ein Flecken auf der Landkarte als ein Dorf, gelegen am Schwarzen See.
Aber zu schnell dort ankommen wollen wir auch nicht. Nach Verlassen der Stadtautobahn fahren wir die B 96 gen Norden. Die B 96 führt von Zittau nach Sassnitz auf Rügen und ist oder war mal eine zentrale Verkehrsader in der DDR. Die Band Silbermond hat ihr ein eigenes Lied gewidmet und ein anderer Mensch hat sich noch vor kurzem den Spaß erlaubt, die gesamte b 96 mit dem Trabi abzufahren und darüber ein Buch zu schreiben. Man ist vermutlich nie allein auf der B 96, heute sind alle diejenigen hier, die uns die letzten Doppelzimmer in nähergelegenen Quartieren weggeschnappt haben. Macht aber nichts. Unseren ersten Stop legen wir in Gransee ein. Für mich ist Gransee die kleine Schwester von Zehdenick, was auch nicht ganz falsch sein kann, denn Gransee hat nur gut 6.000 Einwohner, Zehdenick etwas über 14.000. In Gransee ist nichts los an diesem Samstagmittag. Wir parken auf dem Schinkelplatz, der so heißt, weil auf ihm das von Schinkel entworfenes Luisendenkmal steht, das daran erinnern soll, dass im Jahr 1810 in Gransee die preußische Königin Luise auf dem Weg zu ihrer Bestattung in Berlin aufgebahrt wurde. Mich interessiert eigentlich nur die alte Tankstelle, die zu einem Drive in Imbiss (!) umgebaut wurde und sich jenseits der Stadtmauern befinden muss.
Auf dem Weg dorthin werden wir aber darauf hingewiesen, dass wir nicht weitergehen müssten, denn „da gibt es nüscht“. Unseren Kaffee könnten wir also gleich hier trinken. Machen wir nicht, aber nur um festzustellen, dass der Imbiss in der Tankstelle leider seit April geschlossen ist. Vielleicht weil der Italiener daneben den besseren Kaffee hat, auf jeden Fall hat er sehr leckeres Eis. Danach geht’s weiter, wieder auf die B 96, bis nach Dannenwalde.
Bei Dannenwalde sind im August 1977 durch einen Blitzeinschlag in einem Munitionslager hunderte von Katjuscha-Raketen explodiert, es gab zahlreiche Tote, aber das gesamte Ausmaß des Unglücks ist bis heute nicht bekannt, weil die Behörden damals alles taten, um es zu vertuschen. Angeblich gibt es eine Betonstrecke im Wald, die zu der Kaserne oder den Resten davon führt. Wir finden aber keine Betonstrecke, keinen Abzweig, nichts. Offenbar gibt es da tatsächlich nichts.
Also fahren wir weiter, Richtung Stechlinsee. Wir wollen uns aber nicht den See ansehen, sondern das Kernkraftwerk Rheinsberg bzw. das, was davon noch steht. Auf keiner unserer Karten ist es eingezeichnet, also fahren wir nach Neuglobsow und erkundigen uns im Stechlin-Center nach dem Weg dorthin. Auch das ist leider eine Enttäuschung, da das Werk wohl mitten im Wald liegt, und nur über einen ca. 6 km Wanderweg erreichbar ist. Und auch dann würde man wohl nicht viel sehen. Allerdings gibt es einen Betonweg (!) von Menz, der zumindest bis an das Werkstor führt. Diesmal finden wir den Weg, der natürlich nur für Fußgänger und Radfahrer freigegeben ist, was uns aber nicht stört. Nach schätzungsweise 5 km Fahrt stehen wir dann auch endlich vor dem Tor. Und tatsächlich sieht man nichts außer des Tores, das allerdings recht sehenswert ist, da es von Friedenstauben geschmückt ist.
Die haben sich schon was einfallen lassen, damals. Ich bin tatsächlich froh, als nach einiger Zeit noch ein Radfahrer auftaucht. Wir machen ein paar Fotos und fahren über Menz Richtung Rheinsberg.
Rheinsberg ist an diesem sonnigen Samstagnachmittag voll mit Touristen, weshalb wir erst gar nicht anhalten, auch wenn wir selber Touristen sind. Hinter Rheinsberg wird die Straße dann auch deutlich schlechter, ostpolnische Verhältnisse, dafür aber auch keine Ampeln. Vor dem Flecken kommt das Dorf Zechlin, das wir aber nur streifen und das sicher nicht so schön ist wie der Flecken, ja so schön gar nicht sein kann. Flecken Zechlin hat 900 Einwohner und ist kein Straßendorf, sondern wild verwinkelt und hügelig.
Unsere Pension liegt am Dorfrand, gleich gegenüber gibt es eine Wiese, auf der zwei namenlose Gänse wohnen. Die gehören zum Haus und sind über 10 Jahre alt. Sie haben keinen Namen, werden aber von der Pensionsmutter heiß und innig geliebt, weshalb sie nie geschlachtet wurden. Inzwischen sind sie dafür auch zu alt. Der Fuchs holt sie auch nicht mehr, der hat wohl ziemlichen Respekt vor den beiden.
Mein Reisebegleiter erwartet nun eine Uferpromenade mit zwei bis drei Lokalen, in denen man den Abend verbringen kann. Es gibt aber keine Uferpromenade und schon mal gar keine Lokale. Dafür gibt es am Seeufer eine Räucherfischhütte, die auch Liegeplatz für Bootstouristen ist, die hier für eine Nacht bleiben möchten. Weil die Fischhütte aber leider schon um 19 Uhr schließt, müssen wir uns mit dem Bier beeilen.
Danach ist man in Flecken Zechlin aufgeschmissen, wenn man nicht vorgesorgt hat, oder in einem der zwei Gasthäuser wohnt, in denen man auch nach 20 uhr noch essen und trinken kann. So müssen auch wir nicht hungrig ins Bett.
Am nächsten Morgen werden wir von leichtem Nieselregen geweckt und beschließen, gleich nach dem Frühstück Richtung Schorfheide zu fahren. Die liegt weiter im Osten und ist unter anderem deshalb bekannt, weil Göring dort in Groß Dölln sein Anwesen Carinhall hatte. Davon findet man heute aber nichts mehr. Das Hotel Döllnsee Schorfheide – heute so etwas wie ein „secret escape“ – wurde 1934/35 als Gästehaus für Carinhall erbaut. Viel erinnert nicht mehr daran. Später wurde es dann von Honecker als Gästehaus genutzt, der ebenfalls in der Schorfheide sein Jagdrevier hatte. Es hieß damals „Gästehaus des Staatsrates am Döllnsee“. Wir machen kein Foto sondern fahren weiter nach Groß Schönebeck, sozusagen die Hauptstadt der Schorfheide. Im Park des dortigen Jagdschlosses soll der Stein mit der Inschrift „Carinhall“ stehen, der nicht mehr dort stehen darf, wo Carinhall tatsächlich stand, weil man Angst vor der falschen Sorte Touristen hat. Der Stein steht tatsächlich dort im Park, aber wenn man nicht weiß, dass er dort steht, übersieht man ihn vermutlich.
Sehenswerter ist hingegen die Dauerausstellung „Jagd und Macht“ über die Geschichte der Schorfheide als Jagdrevier der Mächtigen seit der Weimarer Republik. Überflüssig zu sagen, dass ich mich nicht für`s Jagen interessiere, es trotzdem aber durch die gesamte Ausstellung schaffe. Besonders schön ist der Film über die Hebung der Arno Breker-Statuen im Jahr 1990, die Göring sicherheitshalber versenkt hatte, um sie nach dem Endsieg(!) wieder zu heben. Daraus wurde ja nichts, weshalb sie bis 1990 im Döllnsee lagen. Jetzt stehen sie leider etwas versteckt in der hinteren Ecke des Ausstellungsgebäudes.
Der Vollständigkeit halber und weil es um die Ecke liegt und wir auch noch nicht zurück nach Berlin wollen, fahren wir zum Jagdhaus Hubertusstock. Der Name ist ein Witz, das Gebäude ein äußerst schmuckloser Nachbau des eigentlichen Jadghauses aus dem Jahr 1973.
Das Gelände ist ziemlich verwildert und daher durchaus charmant. Auf der Terrasse des Hauses finden sich noch die Überbleibsel einer Hochzeitsgesellschaft vom Vorabend in Form von leeren Gläsern und weißen Tischdecken. Menschen sieht man keine. Am hinteren Ende des Geländes befindet sich ein ziemlich verschnörkeltes Tor, das so gar nicht in das gesamte Ensemble passen will.
Wirklich sehenswert sind die Gästebungalows, die auf dem Gelände stehen und in denen man auch heute noch oder wieder übernachten kann.
Wir beschließen auf dem Rückweg über Wandlitz zu fahren und uns dort zu guter Letzt noch die Waldsiedlung anzusehen, in der die Mitglieder des Politbüros des Zentralkommittees mit ihren Familien bis zur Wende wohnten. Heute ist die Siedlung Teil der Brandenburgklinik und dass auch sie eher schmucklos sein soll, hatten wir schon gehört. Als wir die Häuser dann endlich finden, sind wir aber mehr als enttäuscht, denn es handelt sich um äußerst schlichte Ein- und Zweifamilienhäuser, denen man kaum noch ansieht, aus welcher Zeit sie stammen. Nur die Eingangsportale erinnern noch ein wenig an vergangene Zeiten. Aber insgesamt sind sie kein Foto wert. Wirklich schön ist – auch hier – nur das Eingangstor zu dem damals als „Innenring“ bezeichneten Bereich, der durch eine Betonmauer (!) gesichert war.
1990 war hier Schluss. Und für uns ist jetzt auch Schluss und weil es so schön passt, fahren auch wir über die Protokollstrecke zurück in die Stadt. Wir haben viel gesehen, vor allem viele Betonwege und Tore. Damit kannten sie sich ja aus. Schön war’s trotzdem.