Für meine jährliche Wanderreise hatte ich die Dolomiten und den schönen Monat September gewählt, ganz in der Annahme, noch einige spätsommerliche Tage mit schon leichter Laubfärbung vor prächtigem Bergpanorama erleben zu können. Nun denn, es kam etwas anders. Die Anreise nach St. Christina im Grödnertal verlief unproblematisch, auch das Wetter machte einen stabilen Eindruck, sonnig und knapp 20 Grad. Dass dies allerdings nicht so bleiben würde, ahnte ich und wurde am Abend auch von der Reiseleiterin bestätigt. Ach so: ich gehe nie alleine wandern. Nie. „Offiziell“ vorgesehen waren 4 Wanderungen, allerdings ist es üblich, auch an den beiden „Ruhetagen“ nicht zu ruhen.
Als Einstiegstour war am Sonntag eine Runde um Langkofel und Plattkofel geplant, die auch bei schlechtem Wetter machbar sein würde. Mit dem Bus ging es also zunächst rauf zum Sellajoch, das auf 2.218 m Höhe liegt, dort startete der Wanderweg. Das Radfahren in der Ebene und wandern in der Höhe zwei gänzlich verschiedene Dinge sind, fiel mir bereits nach den ersten Schritten auf, weil ich den Eindruck hatte, kaum noch Luft zu bekommen. Später erfuhr ich, dass es meinen Mitwanderern nicht anders ging, aber munter plappernd liefen wir den Berg hoch, als ob nichts sei. Immerhin goss es nicht in Strömen, sondern nieselte nur leicht. Wer in Gröden wandert, sollte wissen, dass dies ein ausgewiesenes Skigebiet ist – Dolomiti Superski (!) – was den zum Teil etwas unschönen Nebeneffekt hat, dass das Tal von Sessel- und Gondelliften durchzogen ist. Das erleichtert zwar den Einstieg in die Wanderungen, tut aber der Landschaft nicht immer gut.
Wer es aber wagt, sich von den Liften und den damit verbundenen Hütten, Restaurants und Spielplätzen zu entfernen, erlebt dann doch das, was ich als Wildnis bezeichnen würde. Die Wildnis um Langkofel und Plattkofel konnten wir an diesem Tag aber nur erahnen, denn die beiden Berge waren nebelverhangen – woran sich an den folgenden Tagen auch nur wenig ändern würde. Allerdings hatte bereits diese Wanderung schon einen enormen Erholungseffekt, allein durch die Ruhe, die einen umgibt und die durch den Nebel noch verstärkt wurde.
Der nächste Tag versprach etwas besseres Wetter und von St. Ulrich – von dessen Besuch unbedingt abzuraten ist – ging es mit der Standseilbahn rauf zur Raschötz Alm. Bösartige Zungen behaupten, dass es tatsächlich Leute gibt, die dort hinauf fahren, eine Runde über die – nicht allzu große – Alm drehen und nach zünftiger Einkehr wieder mit der Bahn ins Tal fahren. Uns erwarteten oben eine äußerst reizvolle Mischung aus Wolken und Kühen sowie das erste Gipfelkreuz – auch wenn es kein wirklicher Gipfel war.
Von der Raschötz Alm wollten wir ursprünglich über die Brogles Alm zu unserer ersten Scharte – der Pana-Scharte – aufbrechen, was aber durch Nebel und Regen verhindert wurde. Wir hätten nichts gesehen und der glitschige Untergrund hätte auch keine Freude bereitet. So stiegen wir erst ein wenig ab, um dann mit einer Seilbahn wieder hochzufahren und dann durch ein wunderschönes Tal – die Fermeda – zum Col Raiser Gondellift abzusteigen. Der Blick in den Einstieg zur Pana-Scharte hat mich dann auch restlos von der alternativen Route überzeugt, zumal in den ersten Tagen schon jede Gondelfahrt eine kleine Herausforderung für mich war. Und ich ahnte ja nicht, was der Dienstag bringen würde.
Eigentlich als Ruhetag eingeplant, wurde aber für alle Wanderwütigen eine Tour über die Ciesles Alm mit Überquerung der Sieles-Scharte angeboten und kaum einer wollte kneifen. Statt um 9 Uhr starteten wir um 10 Uhr (Ruhetag!), auch in der Hoffnung, dass der Regen bis 11 Uhr aufgehört haben würde. Wieder ging es mit der Gondel auf den Col Raiser und bereits während der ca. 10-minütigen Fahrt ahnten wir, dass es auch diesmal nichts werden würde mit der Scharte: es schneite. Im September. Wir beschlossen, eine Runde über die Alm zu drehen und die Scharte Scharte sein zu lassen. Entgegen unserer Erwartungen – oder Hoffnung? – handelte es sich nicht um einen kurzen Schauer, im Gegenteil.
Der Schnee wurde immer dichter, bald konnten wir kaum noch die Wegmarkierungen erkennen und waren froh, nach über zwei Stunden wieder die Regensburger Hütte erreicht zu haben, von der wir nur 15 Minuten zum Gondellift brauchen würden. In der Hütte waren bereits schon mehrere Wanderer gestrandet, die sich den Tag wohl auch anders vorgestellt hatten, wie u.a. an kurzen Hosen zu erkennen war. Und wenn nicht die Weihnachtsdekoration auf den Tischen gefehlt hätte, hätte man bei dem Blick aus dem Fenster glatt denken können, es sei Dezember oder Januar.
An der Liftstation trafen wir dann noch auf eine Gruppe ausgelassener Männer, die wie junge Welpen durch den Schnee tobten und auch schon einen – nicht ganz jugendfreien – Schneemann gebaut hatten (deshalb auch ohne Foto). Und auch wenn wir etwas anderes erwartet hatten, war es am Ende doch eine herrliche Wanderung.
Noch herrlicher wurde es aber dann doch am Mittwoch, Langkofel und Plattkofel präsentierten sich in praller Sonne vor einem stahlblauen Himmel. Bestes Schartenwetter, so unser Gedanke. Wir nehmen den Sessellift, der uns aus St. Christina bis rauf zur Station Mont de Seura bringt, ich schaffe das dank geduldiger Mitfahrer inzwischen nahezu angstfrei.
Zum Angst haben werde ich heute noch Gelegenheit bekommen, aber das weiß ich natürlich noch nicht. In kalter, klarer Luft geht es in Richtung Langkofelscharte. Der Schnee vom Vortag ist hier oben noch nicht geschmolzen, so dass wir durch den Schnee zunächst zur Langkofelhütte auf 2.256 m Höhe gelangen.
Hier ist Zeit für eine kurze Pipipause und dann wagen wir den Aufstieg zur Scharte. Zunächst geht es ganz gemächlich bergauf, nach einer Weile wird das Gelände immer steiler und der Untergrund wird durch den platt getretenen Schnee immer glatter, zum Teil gibt es auch vereiste Stellen. Trotz dieser Widrigkeiten kommen wir aber gut voran, auf jeden Fall besser als diejenigen, die die Scharte bergab steigen – ein relativ abenteuerliches Unterfangen, vor allem, wenn man nur Turnschuhe trägt. Auch ich muss mich an einigen Stellen aber geschlagen geben, weil meine Beine einfach zu kurz sind und ich keinen rechten Hebel finde, um mich hochzuziehen. Ein erfahrener Mitwanderer zieht mich an meinen Stöcken hoch – nicht zuletzt ein Grund für mich, nicht allein zu wandern. Irgendwann nach einer kleinen herrlichen Ewigkeit erreichen wir dann aber alle wohlbehalten die Toni Demetz Hütte auf 2685 m Höhe.
Von dort führt die vermutlich bizarrste Seilbahn wieder runter zum Sellajoch: eine Stehgondelbahn, die aussieht als hätte man Dixieklos aufgehängt und in die man bei voller Fahrt einsteigen muss. Ich schenke mir dieses zweifelhafte Vergnügen und steige lieber auf zwei Beinen zum Sellajoch ab. Von dort geht es in großer Runde um den Langkofel durch die steinerne Stadt zurück zur Seilbahn und am Ende freue ich mich sogar auf die Fahrt ins Tal.
Am Abend merke ich, dass die Schneetour ihren Tribut fordert und so muss ich am Donnerstag mit einem dicken Schnupfen pausieren. Immerhin erfahre ich so, dass sich der gelangweilte Urlauber in St. Christina auch im Chalet Lolita – einem Strip Tease Club (sic!) – vergnügen kann.
Am letzten Tag erwartet uns bei bestem Wetter nochmal eine richtige Königsetappe. Zunächst geht es ab Wolkenstein mit der Gondel zur Bergstation Dantercepies über dem Grödnerjoch, von wo wir einen fantastischen Blick zum Sellastock haben.
Wir steigen weiter auf zu den Cirspitzen, die aussehen wie der Spielplatz des Steinbeißers aus der unendlichen Geschichte. Hinter den Cirspitzen gelangen wir zum Crespeina Joch, zwar keine Scharte, aber mit fantastischem Blick über die Hochfläche und Puezgruppe – auf dem Mond kann es nicht schöner sein.
Unser Mittagsziel ist die Puez-Hütte, die wir zwar sehen können, die aber genau uns gegenüber liegt und nahezu unerreichbar erscheint. Im Wettlauf mit anderen Wandergruppen durchqueren wir die steinige Hochebene. Inzwischen sind Wolken aufgezogen, die den Ausblick aber nur noch dramatischer und beeindruckender machen. Leider wird es auch kälter und so erreichen wir die Hütte bei 2 Grad Außentemperatur. Die Innentemperatur von 18 Grad lässt uns trotz heißer Minestrone nicht allzu lang verweilen und so treten wir recht bald den zweistündigen Abstieg ins Langental an, dass nicht umsonst seinen Namen trägt.
Pünktlich zur Ankunft in Wolkenstein beginnt es dann auch zu regnen und plötzlich geht alles ganz schnell: wir sitzen im Bus nach St. Christina und realisieren, dass das die letzte Wanderung war und es irgendwie dann doch alles mal wieder zu schnell vorbei ging.
Am Ende bleibt als Fazit, dass blauer Himmel und Sonnenschein zwar eine feine Sache sind und dies definitiv keine gute Woche für Scharten war, Wolken und Nebel eine Landschaft aber erst interessant machen und das Vergnügen des Bergwanderns keineswegs schmälern.