Lubmin. Ein Nachmittag im Biest.

Wer es noch nicht kennt, sollte es kennenlernen. Auch wenn das dazu führen könnte, dass dieser kleine verschlafene Ort an der Küste zwischen Greifswald und Usedom gelegen, plötzlich nicht mehr so verschlafen ist. Zu erreichen ist Lubmin ab Greifswald mit einem Bus. Oder ab Wolgast mit dem Bus. Oder ab Berlin mit dem Flixbus. Ich hatte es vorgezogen, mit der Bahn bis Züssow und die letzten 30 Kilometer mit dem Fahrrad zu fahren. Die Gegend ist unspektakulär, aber ich hatte auch nichts anderes erwartet.

Krebsow

Immerhin war es menschenleer, es regnete leicht und auch die Anzahl der Autos, die mir begegneten, hielt sich in Grenzen. Ich fuhr von Züssow über Krebsow und Kessin an Hanshagen vorbei und schließlich über Neu-Boltenhagen und Gustebin nach Wusterhusen, das fast schon ein Vorort von Lubmin ist. Zu berichten gibt es hierzu wenig, einzig die wuchtige Kirche Wusterhusens ist erwähnenswert, weil sie einsam in der Landschaft steht und plötzlich über den Hügel lugt, wenn man sich dem Ort von Gustebin nähert. Vielleicht ist doch auch Gustebin erwähnenswert, fiel mir dort doch Werbung für den Travestieabend in Lubmin auf. Den hatte ich gottseidank verpasst.

Gustebin

Nur zum Vergnügen war ich aber nicht unterwegs, ich war eingeladen zu einem privat organisierten Seminar zu dem Thema „Sicherheit“. Die Unterkunft – die Heimvolkshochschule Lubmin – liegt gleich am Meer, weshalb es auch „Bildungshaus am Meer“ heißt, der Blick aus dem Seminarraum geht direkt raus auf die Ostsee. Der Samstag war bis nachmittags gefüllt mit Vorträgen und Diskussionen zu Sicherheitsaspekten in unterschiedlichen gesellschaftlichen Feldern.

Heimvolkshochschule Lubmin

Für den Nachmittag hatten die Organisatoren ein besonderes Schmankerl vorgesehen: eine Besichtigung des ehemaligen Kernkraftwerks Lubmin, offiziell hieß es mal „VE Kombinat Kernkraftwerke ‚Bruno Leuschner‘ Greifswald“.

Tatsächlich vermutet man in diesem lauschigen Seebad kein Kernkraftwerk. Es ist vom Ort aus auch nicht zu sehen. Hinweisschilder habe ich auch keine gesehen. Wer nach Peenemünde fährt und dort auf das Dach des noch vorhandenen Kraftwerks klettert, kann hinten rechts am Horizont die Schornsteine sehen. Ansonsten vergisst man gern, was hier noch steht.

Ich fuhr mit dem Rad, das Kraftwerk liegt ca. 3 KM östlich von Lubmin. Stillgelegt ist das Werk seit 1990, seitdem haben sich zahlreiche andere Firmen auf dem Gelände angesiedelt, aber an diesem Samstagnachmittag bin ich allein auf dem Areal.

KKW Greifswald Lubmin

Unser Treffpunkt ist das Informationszentrum, unser Führer für den Nachmittag ist ein freundlicher älterer Herr, der früher Mitarbeiter in dem Werk war. Nach einem Vortrag im Informationszentrum geht es über das Gelände zum Block 6, der 1990 kurz vor der Fertigstellung stand. Er enthielt nie Kernbrennstoff – was mich beruhigt – und kann deshalb gefahrlos besichtigt werden. Ich will das mal glauben, ziehe mir einen Helm an (Vorschrift!) und trotte unserem Führer nach. Das Werk bzw. der Block erinnert von innen an ein U-Boot – zumindest sah das U-Boot in „Das Boot“ so aus – überall Leitungen und Ventile, alles ist grau gestrichen.

KKW Greifswald Lubmin. Innenansicht.

In dem Werk haben 2000 bis 3000 Menschen gearbeitet, dazu kamen noch Bauarbeiter, insgesamt sollen 10.000 Menschen auf dem Gelände tätig gewesen sein. Es gab mehrere Kantinen, ein Großteil der Beschäftigten kam aus Greifswald und Umgebung und – wen wundert’s – das Werk wird wohl bis heute als guter Arbeitgeber wahrgenommen. Man verdiente dort gut und es war auch nie ein Problem, einen Ferienplatz zu bekommen. Wer etwas über Störfälle lesen möchte, dem sei ein Artikel aus dem Spiegel aus dem Jahr 1990 empfohlen. Klar war, dass man 1990 keine Kernkraftwerke russischer Bauart in Betrieb haben wollte.

KKW Greifswald Lubmin. Innenansicht.

Unser Rundgang dauert 2,5 Stunden, sogar in den Reaktor dürfen wir reinschauen. Ich bin fasziniert und kämpfe zugleich mit Beklemmungen. Die Vorstellung, in einem solchen Block arbeiten zu müssen, gruselt mich, wo ich mich ja nach nur zwei Stunden schon nach Sonne und frischer Luft sehne.

Im Innern des Biests.

Neben den technischen Anlagen finden sich in dem Block noch einige Besonderheiten – eine Fotoserie über den Arbeiter Egbert und ein Bilderzyklus zum Thema „Kernspaltung“ des Künstlers Armin Münch mit zum Teil kritischen Fußnoten.

Bildzyklus zum Thema „Kernenergie“.

Als der Rundgang schließlich beendet ist, bin ich fast erleichtert, obwohl ich wirklich jedem, der in die Gegend kommt, nur empfehlen kann, sich das Werk anzuschauen. Seit 1995 wird es zurückgebaut, aber bis hier nichts mehr zu sehen ist, wird es wohl noch länger dauern.

KKW Greifswald Lubmin. Außenansicht.

Was mich nach dem Rundgang viel mehr beunruhigt ist das Zwischenlager Nord, das gleich neben dem Kraftwerk steht. Es kann nach Auskunft von Wikipedia Abfälle aus dem Rückbau wie auch Brennstäbe in Transportbehältern einlagern. Und das tut es wohl auch. Das Lager ist ca. 20 Jahre alt und uns wurde erklärt, dass die Wände nur 50 cm dick sind, heutzutage wären aber 1,50 m der Standard. Von dieser Kleinigkeit mal ganz abgesehen verdeutlicht zumindest mir dieses Zwischenlager die Hilf- und Ratlosigkeit im Umgang mit der Atomenergie: es gibt keine befriedigende Lösung für den Umgang mit ihren Abfällen.

Mit diesem Gedanken und einem leicht mulmigen Gefühl steige ich aufs Rad und fahre zurück nach Lubmin, in dieses idyllische kleine Seebad. Am Abend ist ein gemeinsames Abendessen in der Blaumuschel geplant, von wo wir über die Ostsee nach Rügen gucken können.

Nicht Rügen. Aber Ostsee.

Am nächsten Vormittag wandern wir noch einmal am Strand entlang, wieder Richtung Osten, Richtung Kernkraftwerk. Man hat dort, gleich neben dem Hafen, eine Marina angelegt, ein Gastronomieschiff („Vaterland“) gibt es dort und an diesem sonnigen Vormittag haben sich auch einige Touristen eingefunden.

Marina Lubmin. Mit Vaterland.

Weil ich an dem Tag noch zurück nach Berlin muss, breche ich gegen Mittag auf und fahre mit dem Rad Richtung Greifswald, 25 Kilometer sind es nur, die Strecke führt über Vierow und Loissin zum Teil direkt am Bodden entlang in Richtung Stadt.

Bei Gahlkow. Blick auf den Greifswalder Bodden.

Die letzten 8 Kilometer führen leider direkt an einer Bundesstraße entlang, aber Greifswald entschädigt dafür. Die Rückfahrt nach Berlin geriet zu einer kleinen, an einem Sommertag durchaus vorhersehbaren Katastrophe, die nervlich aber mit Unterstützung des obligatorischen Fahrbiers zu beherrschen war.